Gemeinsam singen, lachen oder auch mal weinen: Marieke Bohne und Carola Schure sind Klinik- bzw. Kontaktclowninnen bei den Rostocker Rotznasen. Das bedeutet, dass sie in Pflegeeinrichtungen auftreten, um den Menschen dort mit Humor Freude zu bereiten. Wir haben sie bei ihrem Einsatz im Seniorenzentrum Stadtweide begleitet.
Immer wenn ich ein Altersheim betrete, dann ist da Schwere und Stille. Wie eine Endstation. Hier bin ich jetzt und hier komme ich nicht mehr weg. Und ich denke jedes Mal, hier braucht es etwas Lebendiges. Entweder Kinder oder Clowns.
Carola Schure, Kontaktclownin
Was sind Clowns?
In den letzten Jahren gibt es immer mehr Ausbildungsangebote für den Beruf Klinikclown. Marieke und Carola sind aber schon länger dabei, sodass sie aus dem Improvisationstheater und Theaterpädagogik-Trainings reingewachsen sind und viele Workshops absolviert haben. Marieke ist studierte Sozialpädagogin und arbeitet in der Geschäftsleitung eines Jugendverbandes. 2013 hat sie mit ihrer Bühnenclownsuasbildung angefangen. Seitdem schlüpft sie freiberuflichin die Rolle der Kontaktclownin Henriette. Carola hat ursprünglich Lehramt studiert, aber der Beruf bietet ihr zu wenig Kreativität, Freiheit und Bewegung. „Deshalb habe ich noch eine Ausbildung zur Theaterpädagogin gemacht und habe dann 2004 in Greifswald als Clownin bei einem eherenamtlichen Verein angefangen.“ So wie Marieke kam sie dann 2013 zu den Rostocker Rotznasen. Dort verkörpert sie Pampelmusina.
Clowns als Verbündete
Es gibt verschiedene Bereiche und Formen, Clownerie zu machen. Als Selbstbezeichnung wählen Marieke und Carola daher Clownin, Klinkclownin oder Kontaktclownin, auch wenn sie ab und an mal auf einer Bühne stehen und dann Bühnenclowninnen sind. Im Zusammenhang mit dementen Menschen ist Kontaktclownin die passendste Bezeichnung, weil sie in den direkten Kontakt mit den Senioren und Seniorinnen treten. In dieser improvisierten Arbeit geht es darum, die Gefühle und die Emotionen, der Dementen aufzunehmen und zu transformieren – sie zu vergrößern oder sie überhaupt sichtbar zu machen.
Demenz in Deutschland
Susanne Saxl von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft erklärt, warum das so wichtig ist: „Menschen mit Demenz haben meist zunehmende Probleme, von sich aus aktiv Kontakt zu anderen herzustellen. Deshalb ist es wichtig, dass ihnen Gesprächs- und Kontaktangebote gemacht werden. Über Clowns darf man lachen, sie sind freundlich und unkompliziert. Daher können sie Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz ein ,gefahrloses‘ Kommunikationsangebot machen.“ Im alltäglichen Kontakt erleben Demenzerkrankte immer wieder, dass es Missverständnisse gibt, sie nicht verstanden werden oder die Erwartungen ihrer Gegenüber nicht erfüllen. „Der Betroffene weiß nicht, was der andere von einem will, fühlt aber, dass etwas nicht in Ordnung ist und wird dann zum Beispiel wütend, ärgerlich.“, berichtet Psychiater und Psychotherapeut Prof. Dr. Rolf D. Hirsch.
In diesem neuen, diesem fremden Umfeld, in das sich die Senioren begeben haben, dort kann man so vieles falsch machen. Als Clowns können wir genauso vieles falsch machen.
Carola Schure, Kontaktclownin
Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben in Deutschland rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenz. Jährlich treten mehr als 300.000 Neuerkrankungen auf. Durch den demografischen Wandel kommt es zu mehr Neuerkrankungen als zu Sterbefällen unter den bereits Erkrankten. Dadurch nimmt die Anzahl der Demenzkranken kontinuierlich zu. Falls kein Durchbruch in Prävention und Therapie gelingt, werde sich nach Vorausberechnungen der Bevölkerungsentwicklung die Krankenzahl bis zum Jahr 2050 auf rund drei Millionen erhöhen.
Was ist Demenz?
Demenz ist eine erworbene Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit, die Gedächtnis, Sprache, Orientierung und Urteilsvermögen einschränkt und so schwerwiegend ist, dass die Betroffenen nicht mehr zu einer selbstständigen Lebensführung in der Lage sind. Als häufigste Ursache einer Demenz gilt in den westlichen Ländern die Alzheimer-Krankheit, deren Anteil auf mindestens zwei Drittel der Krankheitsfälle geschätzt wird. Besonders im höheren Alter sind Mischformen aus verschiedenartigen neurodegenerativen und vaskulären Krankheitsprozessen die Regel. Das kann sich unter anderem in starker Vergesslichkeit, Schlafstörungen und Halluzinationen widerspiegeln.
(Quelle: Deutsche Alzheimer Gesellschaft)
Die Verwandlung
Die Verwandlung von Marieke zu Henriette und Carola zu Pampelmusina dauert nur zehn Minuten. Alle Schmink-, und Spielutensilien, sowie die Verkleidungen befinden sich in Koffer und Körben, die wahlweise auch zu Requisiten werden.
Carola erzählt: „Unser Kostüm hilft uns, in eine andere Energie zu kommen. Es hilft mir auch als Privatperson, mich selbst durchlässiger zu machen. Ich kann im Clown-Sein viele Dinge zeigen, die ich als Privatperson möglicherweise nicht zeigen würde. Die rote Nase ist wie so ein Erkennungsmerkmal.“ Aber auch die Augen, der Blick und die Präsenz, die man entwickelt schaffen einen ganz anderen Raum und eine ganz andere Beziehungsebene, so die Clownin.
Marieke fügt hinzu: „Die Clownsrolle wird sehr viel aus der Privatperson gefüttert. Clownerie ist sehr persönlich. Es ist unsere Kunst, sich auf jede Situation einzustellen, die da ist und diese manchmal nur in Sekunden einzuschätzen.“
Carola vs. Pampelmusina
Das Kontaktclown-Sein zeichnet sich vor allem durch Offenheit und Transparenz aus, sagen die beiden. „Sich auch leer machen können, von dem was selber da so in einem rumbrodelt. Es muss jemand sein, der zu innerer Entwicklung bereit ist. Das gehört zum Offensein dazu“, so Carola. Ebenfalls wichtig seien Kreativität, künstlerisches Denken, Achtsamkeit und Empathie.
Marieke vs. Henriette
Konkret bedeutet das beispielsweise, dass die Clowns Emotionen sichtbar machen, über die nicht geredet wird, die „verboten“ sind, die keiner hören will. „Das trifft besonders auf den Bereich sexuelle Lust zu. Das darf man nicht. Das wird bewertet. Wie gehen wir damit um? Ich lasse mir auch mal auf den Hintern hauen und spiele damit.“, erzählt Carola.
Gerade mit non-verbaler Kommunikation könne man Betroffene erreichen, bei denen die Symbolhaftigkeit der Sprache zu überfordernd ist. Ein Spiel mit Requisiten zu beginnen, sei eine gute Möglichkeit, mit Dementen in Kontakt zu treten. „Der Unterschied zu Menschen ohne Demenz oder leichterer ist, dass Menschen in hoch ausgeprägten Stadien der Demenz es nicht mehr schaffen, Impulse zu geben, die man aufgreifen kann zum Spielen. Wir brauchen aber Impulse, um unsere Arbeit machen zu können“, erklärt Marieke. „Die kriegen wir manchmal von denen, die noch nicht an Demenz erkrankt sind oder auch vom Personal, denn die spielen auch sehr gerne mit. Und auch die Angehörigen“, so Carola.
On the floor
Pampelmusina schnappt sich ihre Ukulele, Henriette stimmt motiviert das erste Lied an während beide beginnen, vergnügt durch den Flur zu gehen. Sobald ihr Auftritt beginnt sind sie im wahrsten Sinne des Wortes „on the floor“.
Erinnerungen wachrufen
„Soziale Zuwendung ist immer ein wichtiges Angebot“, erklärt Prof. Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen. Dazu zähle mitunter körperliche Nähe als emotionale Erfahrung. Ob und wann dies jedoch der Bedürfnislage der Demenzkranken entspricht, sei seiner Meinung nach unter Umständen schwierig einzuschätzen.
Das Wachrufen von zurückliegenden Erinnerungen hält Prof. Dr. Glaeske für das ausschlaggebende Kriterium, um dementen Menschen zu helfen: „Geschichten von Peter Frankenfeld, von Hans-Joachim Kulenkampff, von Heinz Erhardt. Man muss eine Verbindung zum früheren Leben der Menschen herstellen“. Henriette und Pampelmusina greifen bei ihren improvisierten Auftritten immer wieder altbekannte Gegenstände auf: „Beispielsweise ein Grammophon – das ist eine ganz andere Musik mit dem Geknister“, berichtet Carola. Nach Meinung von Prof. Dr. Glaeske muss es sich bei solchen „Unterhaltern“ für demente Menschen jedoch nicht unbedingt um Kontaktclowns handeln.
Humor lindert Leid
Dass alledings gerade humorvolle Interventionen das Wohlbefinden von dementen Menschen steigern können, zeigt Dr. Gudrun Baumgartner 2016 in ihrer Dissertation. In ihrer Untersuchung kamen bei dementen Menschen – unabhängig vom Krankheitsfortschritt – negative Gefühle und soziale Isolation durch die Clown-Besuche deutlich seltener vor. In der Kategorie „sich zuhause fühlen“ zeigten sich sogar längerfristiger positive Entwicklungen.
Darüber hinaus wurden bei den demenziell veränderten Menschen durch das gemeinsame Spiel soziale und kognitive Fähigkeiten angeregt.
„Humor könnte sich somit auch als Hilfsmittel bei der Entwicklung beziehungsweise zur Wiederbelebung von Kompetenzen erweisen, die im Pflegealltag nicht gefragt sind und brachliegen“, vermutet Dr. Baumgartner. „Die Auftritte fördern Kognition, kommunikatives Interesse und Bewegung“, berichtet der Psychiater und Psychotherapeut Prof. Dr. Hirsch von seinen eigenen Erfahrungen in Pflegeeinrichtungen. Er ergänzt, dass dadurch teilweise sogar die Verabreichung bestimmter Medikamente gedrosselt werden konnte.
Nebenwirkungen von Antidepressiva und Neuroleptika: Wenn es im Alter zu schwerwiegenden Depressionen kommt, die gut diagnostiziert wurden, können Antidepressiva für ältere Menschen durchaus einen Nutzen haben, sagt Prof. Dr. Glaeske. Mal solle aber Antidepressiva nicht leichtfertig als „Aufheiterungsmittel“ gegen das Altern einsetzen, da es Arzneimittel sind, die gerade auch für ältere Menschen gravierende unerwünschte Wirkungen nach sich ziehen können – beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Hüftfrakturen oder venöse Thromboembolien. Auch Neuroleptika sind nicht ungefährlich. Normalerweise werden diese zur Behandlung von Schizophrenien, Psychosen oder Ticseingesetzt. Bei Alzheimerdemenz kommen sie allenfalls über kurze Zeit (maximal sechs Wochen) in Frage, wenn Menschen aggressives oder auch gefährdendes Verhalten zeigen. „Menschen mit Alzheimerdemenz, die zur Ruhigstellung – ,sauber, satt und ruhig‘ – Neuroleptika bekommen, haben ein erhöhtes Risiko früher zu sterben als gleichaltrige Menschen ohne Alzheimerdemenz, die mit Neuroleptika behandelt werden“, sagt er.
Bei der Durchführung der Studie von Dr. Baumgartner kamen die Kontaktclowns zweimal wöchentlich zu Besuch. Sie nimmt an, dass Interventionen mit einem zeitlich längeren Abstand möglichweise keine messbaren Veränderungen erzielen würden. Dementsprechend spielt auch die Häufigkeit der Auftritte eine Rolle bei deren Wirksamkeit.
„Clowns sind doch nur etwas für Kinder“
Henriette und Pampelmusina wissen bereits im Voraus, bei welchen Heimbewohnern sie mit ihren roten Nasen hineinluken können und bei welchen nicht. Denn nicht alle sind den Clowninnen wohl gesonnen:
Herr Stoll sieht das etwas anders…
Warum kommen nicht in alle Seniorenheime Kontaktclowns?
Ob ein Seniorenheim oder eine andere soziale Einrichtung Kontaktclowns engagiert, hängt laut Annika Fischer-Gebel, Betreuungsleiterin im Seniorenzentrum Stadtweide, stark davon ab, ob die Einrichtung offen ist für eine neue Form der Aktivierung und ob das Budget dafür überhaupt vorhanden ist. Fischer-Gebel berichtet, dass es bei ihnen durch Empfehlungen zum Einsatz der Clowns kam.
„Die Clowns sind eine Abwechslung vom Alltag. Deswegen versuchen wir auch, sie nicht zu oft zu engagieren, damit ihre Auftritte etwas Besonderes bleiben. Zu uns kommen sie etwa alle zwei Monate.“ Stattdessen bietet die Einrichtung noch andere therapeutische Angebote, wie Tierbesuche an.
„Wenn man wirklich sinnvoll etwas tun will, dann sollte es zum Standard jeder Pflegeeinrichtung gehören, dass mindestens einmal in der Woche Kontaktclowns zu Besuch kommen“, positioniert sich Prof. Dr. Hirsch. Die Clownauftritte seien nicht teuer und würden sowohl den Bewohnern, als auch den Mitarbeitern gut tun, indem man auch ihnen auf clowneske Art und Weise Verständnis entgegenbringt. Warum die Umsetzung noch auf der Strecke bleibt, liegt seiner Meinung nach an der Angst der Betreuenden und Angehörigen, dass die Betroffenen nicht ernst genommen oder sogar veralbert werden könnten. „Humor ist eine der ernstzunehmendsten Kommunikationsformen und zwar auf eine freundlich-heitere Art und Weise“, widerspricht er diesem Vorbehalt.
Vorher, wenn wir unser Kostüm noch nicht anhaben, werden wir nicht erkannt. Aber manchmal nach dem Spiel wissen sie ganz genau, wer wir sind, wenn wir gehen.
Marieke Bohne, Kontaktclownin